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Rudolf Schottlaender
Der erste deutsche Proust-Übersetzer

Die Schriftenreihe der Marcel-Proust-Gesellschaft, "Proustiania“, die Anfang der achtziger Jahre zu erscheinen begann, lenkte das Interesse wieder auf jene zwei Bände, die im Januar 1926 unter dem Titel "Der Weg zu Swann“ in dem Berliner Verlag "Die Schmiede“ erschienen waren. "Die Schmiede“ war ein ambitionierter kleiner Verlag, der 1924 Kafkas letzte autorisierte Veröffentlichung "Ein Hungerkünstler. Vier Geschichten“ herausgebracht hatte. Für seine Reihe "Die Romane des XX. Jahrhunderts“ erwarb der Verlag die Übersetzungsrechte von Gallimard. Anfang der zwanziger Jahre hatte Ernst Robert Curtius den französischen Romancier Marcel Proust in Deutschland bekannt gemacht. "Die Schmiede“ wollte Prousts Hauptwerk unter dem Titel "Auf den Spuren der verlorenen Zeit“ herausbringen. Der Verlag operierte jedoch auf schmaler ökonomischer Basis und vergab die Übersetzung an den vierundzwanzigjährigen Rudolf Schottlaender. Der junge Philosoph war noch nie in Frankreich gewesen, verfügte aber über jene Kenntnis der französischen Sprache und Literatur, die im deutschen Bürgertum damals selbstverständlich war. Zur Probe übersetzte er den Landschaftsroman "La Brière“ des bretonischen Schriftstellers Alphonse de Châteaubriant.

Nachdem der "Berliner Börsen-Courier“ sich lobend über Schottlaenders unter dem Titel "Schwarzes Land“ veröffentlichte Châteaubriant-Übersetzung ausgesprochen hatte, erhielt der junge Mann den Auftrag zur Übertragung von "Du côté de chez Swann“, des ersten Teils von Prousts Roman. Über die Schwierigkeiten dieser völlig neuartigen Übersetzerarbeit war Schottlaender sich im klaren. Er machte es in seiner Zusammenarbeit mit der "Schmiede“ zur Bedingung, daß seine Arbeit nur als Rohfassung angesehen werden dürfe und ein Revisor herangezogen werden müsse. Schottlaender schlug hierfür Ernst Robert Curtius vor. Der Ordinarius der Romanistik in Bonn galt damals als der beste deutsche Proust-Kenner.

Es ist jedoch sehr zweifelhaft, daß sich in Curtius' Nachlaß eine Anfrage der "Schmiede“ befindet. Wahrscheinlich ist vielmehr, daß der Verlag gar nicht vorhatte, den Romanisten mit der Durchsicht des Manuskriptes zu beauftragen und dem Übersetzer gegenüber nicht immer mit offenen Karten spielte.

Als Schottlaenders Proust-Übersetzung erschien, wußte die literarische Öffentlichkeit nichts von den Manövern im Hintergrund; man nahm die Rohfassung für die Endfassung. Durch die deutsche Proust-Literatur geistert Rudolf Schottlaender seither als schwarzes Schaf.

In der Tat bereitet der Text Probleme. Nehmen wir den berühmten ersten Satz: "Longtemps, je me suis couché de bonne heure.“ Er steht im Passé composé, das in seiner Abhängigkeit von einem Hilfsverb, vor allem aber in seinem umgangssprachlichen Charakter, dem deutschen Perfekt nahekommt. Schottlaender gibt dem Imperfekt den Vorzug: "Lange Zeit ging ich früh zu Bett.“ Das ist nicht ganz geglückt, denn die Anlage des Romans setzt die abgeschlossene Vergangenheit voraus - was man freilich erst wissen kann, wenn man die ganze "Recherche“ gelesen hat. "Se coucher“ mit "zu Bett gehen“ zu übersetzen ist völlig korrekt. Vielleicht ist "schlafen gehen“ etwas eleganter und paßt daher besser zu dem Ich-Erzähler Marcel. Eva Rechel-Mertens, die bereits auf eine lange Proust-Rezeption zurückgreifen konnte, übersetzte in den fünfziger Jahren: "Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.“ Schottlaenders Version "zu Bett gehen“ hat jedoch einen Vorteil: Sie berücksichtigt, daß Marcel nicht ohne weiteres einschlafen kann. -->

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